Sgt. Pepper’s Hearts Club Band wird fünfzig
Nun wissen wir immer noch nicht, wie viele der viertausend Höhlen, Mitte der Neunzehnhundertsechziger in Blackburn-Lancashire entdeckt, benötigt würden, um die Albert-Hall zu füllen. Wir haben das, wie anderes auch, mit der gar nicht mal so kleinen Hilfe der Freunde von den Fab-Four nicht herausgefunden. Aber eigentlich ist das nun nicht mehr so wichtig, wie weiteres aus jener Welt, in der Fakten noch etwas galten.
Fünfzig Jahre sind im Leben eines Menschen eine lange Zeit. Da verwundert es, dass die sieben oder acht, die die von Liverpool ausgehende Revolution andauerte, bei Einigen wie mir eine so nachhaltige Wirkung hinterließen. Das ist allerdings beileibe nicht bei Allen so. Mir ist immer wieder unverständlich, wie »While My guitar gently weeps«, wo ich fast jedes Mal feuchte Augen bekomme, von anderen, oft jüngeren Zeitgenossen, ungerührt angehört werden kann. Ich ahne aber, dass das nicht nur eine Frage des Alters ist. Offensichtlich ist es eine höhere Instanz, die darüber entscheidet, ob man die Beatles liebt oder nicht.
Nun bin ich selbst bald vierundsechzig und finde, die vier jungen Kerle damals haben es gut getroffen, das Gefühl von »When I’m sixtyfour«, auch wenn die kleinen Menschen, die nun manchmal auf meinem Schoß sitzen, nicht Vera, Chuck oder Dave heißen.
»Unteroffizier Pfeffers Hausmusik der einsamen Herzen«, wie man den Titel der am 1. Juni 1967 erschienenen Langspielplatte übersetzen könnte, war das erste Konzeptalbum. Verschiedene kleine Geschichten aus dem Alltag wurden zu einem Ganzen zusammengefasst. Und anders, als bis dahin üblich, waren die einzelnen Nummern der Platte nicht durch Leerrillen voneinander getrennt. Was es den Discjockeys damals erschwerte, einen bestimmten Titel direkt zu anzuspielen.
Die bunte Welt von Sgt. Pepper hat mich mein Leben lang begleitet. Zum Beispiel Lucy mit ihren Kaleidoskop-Augen unterm Diamantenhimmel, der ich nie abnahm, dass sie kein LSD schluckte, bei all den Zeitungspapier-Taxis und Cellophan-Blumen um sie herum. Oder das Loch, durch das es ins Zimmer regnet, dessen Vergipsen allerdings zugleich jegliche Phantasie einsperren würde. Immer präsent in all den Jahren die verfremdeten Drehorgelklänge von Mr. Kite, der auf einem Jahrmarkt zu seiner Show einlädt. Mit den Hendersons und, nicht zu vergessen, Henry dem Pferd, das den Walzer tanzt. Plötzlich - unerwartet Indisches mit Sitar und Violinen, wohl um einen Moment Ruhe und Kontemplation in das Treiben zu bringen. Dann die liebliche, zechebegleichende Rita, die ein wenig wie ein Soldat aussieht mit ihrer Umhängetasche; Archetyp einer Frau, die mir leider nie begegnet ist. Und schließlich das orgiastische Orchesterchaos von »A Day in the life«, in dem der Irrwitz eines Tages im Leben mit all seinen Gewohnheiten, Träumen und den Nachrichten geschildert wird.
Ich erinnere mich an eine Sendung über die Beatles im RIAS, es muss Anfang der Neunzehnhundertsiebziger gewesen sein. Dort fragte man Straßenpassanten unter anderem danach, ob der Ruhm der Vier aus Liverpool vergänglich sein würde. Alle Befragten verneinten das; Menschen würden immer Beatles hören wollen. Fünfzehn Jahre später, als Teilnehmer an einer Englisch-Konversationsrunde, war ich noch geschockt, als Helen, eine junge Engländerin, das Album Sgt. Pepper gar nicht mehr kannte.
Heute nun hört man die Beatles kaum noch. Höchstens in Dokumentationen über jene Jahre oder wenn ältere Promis im Radio ihre Wunschmusiken präsentieren. Vielleicht wird es späteren Generation vorbehalten sein, sie neu zu entdecken, wie es auch mit anderen Künstlern geschah. Oder aber, sie geraten, bei der großen Fülle neuer Werke, in Vergessenheit und teilen dann das Schicksal mit anderen bedeutenden Werken, die wir heute nicht mehr kennen.
Samstag, 29. Juli 2017
Das Außerordentliche im Alltäglichen
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